Für die einen ist die Abfahrt die perfekte Belohnung nach einem anstrengenden Aufstieg. Den anderen sind die hohe Geschwindigkeit und die anspruchsvollen Haarnadelkurven beim Bergabfahren überhaupt nicht geheuer. Daher geben wir hier einige wichtige Tipps von unseren Spezialisten, damit alle eine sichere und aufregende Bergabfahrt genießen können.
2022 begeisterte Tom Pidcock die Radsportfans mit seinen Abfahrtskünsten, als er auf dem Weg zum Etappensieg bei der Tour de France den Col du Galibier hinunterraste. Aber auch schon vor dieser Meisterleistung haben wir gesehen, wie andere Fahrer bei der Abfahrt attackiert haben. Profis können über die hohe Geschwindigkeit wertvolle Sekunden gewinnen oder Vorsprünge herausfahren, aber für die meisten passionierten Amateurfahrer geht es eher darum, die Abfahrt zur Erholung zu nutzen und die Landschaft zu genießen, ohne bergab die Schallmauer zu durchbrechen.
Rob Busser, Technikspezialist von SHIMANO Europe erklärt uns, warum souveränes Bergabfahren nicht nur etwas für Profis ist.
„Ich bin überzeugt, dass jeder mehr Sicherheit gewinnen kann“, sagt Rob. Das bestätigt Steven Hendrikx, ein reinrassiger Bergfahrer aus Belgien, der diesen Sommer mit den SHIMANO Fahrern Paul Foulonneau und Aline Guglielmi für ambitionierte Einheiten ins Hochgebirge gefahren ist. Sowohl Rob als auch Steven geben Auskunft darüber, worauf man bei der Ausrüstung achten sollte und welche Techniken jeder anwenden kann, wenn er in die Berge fährt.
Unter Mitwirkung von Profis gebaut
Beim Abfahren sind nicht die Bremsen der wichtigste Teil deines Bikes. natürlich müssen sie funktionieren, aber ein sichereres und stabiles Gefühl beim Abfahren hängt viel stärker von den Laufrädern ab. Sie sind dein Kontakt zum Asphalt und ihre Qualität bestimmt maßgeblich, wie sich dein Bike bei höheren Geschwindigkeiten anfühlt.
Um die ULTEGRA und DURA-ACE Laufradsätze zu entwickeln und zu verbessern, sammelt und verarbeitet SHIMANO in enormem Umfang Feedback von Profi-Fahrern hinsichtlich der Fahrqualität. Die Ergebnisse zeigen, dass ein steiferes Laufrad nicht immer die beste Wahl ist. „Als wir mit mehr Fahrern über das Abfahren sprachen, erwähnten sie alle, dass es zwei Arten von Steifigkeit gibt, wenn es um Laufräder geht. Fahrsteifigkeit und Seitensteifigkeit“, erläutert Rob.
Die Vorteile besserer Laufräder im Downhill
„Die neueste Generation der Laufräder C36, C50 und C60 wurde auf ein Maximum an Fahrsteifigkeit ausgelegt, wobei gleichzeitig auf Komfort und Kontrollierbarkeit geachtet wurde. Die Seitensteifigkeit sollte nicht übermäßig ausgeprägt sein, da dies zu einem nervösen und schlechter kontrollierbaren Laufrad führen kann. Da Laufräder aus drei unterschiedlichen Komponenten bestehen, ist es am besten, einen Satz zu nehmen, der mit einer einheitlichen technischen Zielsetzung hergestellt wurde. Bei SHIMANO werden Nabe, Speichen und Felge gemeinsam für die Laufräder der C-Serie entwickelt, das stellt einen enormen Vorteil dar“, erklärt Rob Busser.
Abfahren ist Nervensache
Steven kann dies mit praktischen Erfahrungen belegen. Im Sommer hat er versucht, die besten Bergstraßen in Europa zu finden, um innerhalb von vier Wochen mehr als 100.000 Meter bergauf und bergab zu fahren. „Es geht darum, so harmonisch wie möglich zu fahren“, sagt er. „Eine harmonische Abfahrt ist eine sichere Abfahrt, und mit jeder Kurve gewinnst du an Selbstvertrauen, um die nächste Kurve mental anzugreifen.
„Abfahren ist Nervensache, ein Test nicht nur der Fähigkeiten, sondern auch des Mutes und des Selbstvertrauens. Zu Beginn der Saison ist es immer gut, mit bereits bekannten Abfahrten zu beginnen. So baut man Vertrauen auf, und das ist etwas, das jedes Jahr neu geschehen muss. Im Winter fahre ich in den Ardennen. Die meisten Straßen in dieser Gegend sind nicht gerade für Schnelligkeit gemacht. Aber die Tatsache, dass man es ruhig angehen lassen und erfühlen muss, wie weit man sich in die Kurve lehnen kann, funktioniert wirklich gut, sogar bei Nässe oder Schnee.“
Wichtig: Knie ausstellen
Um lange Abfahrten genießen zu können, sind jedoch einige wichtige Hinweise zu beachten. „Neben dem Aufbau von Selbstvertrauen kommt es auch darauf an, konsequent zu sein. Das beginnt bei der Geschwindigkeit. Verringere deine Geschwindigkeit vor der Kurve ausreichend und betätige vorsichtig beide Bremsen. Löse die vordere Bremse, sobald du die Kurve erreichst, und benutze nur noch die hintere. Auf diese Weise behältst du die Kontrolle über die Geschwindigkeit in der Kurve, und das Fahrrad orientiert sich mehr zur Innenseite der Kurve.
Der zweite Punkt ist die Körperhaltung. Verlagere dein Gewicht nach hinten, um das Bremsen zu erleichtern und den Grip des Hinterreifens zu verbessern. Als ehemaliger Motorradfahrer stelle ich auch mein kurveninneres Knie nach außen, was mir hilft, besser auf den Kurvenendpunkt zu zielen. Und dann ist da noch die Ideallinie. Natürlich muss man immer auf den entgegenkommenden Verkehr achten, deshalb kann man normalerweise nur die eigene Fahrbahnrichtung nutzen, aber man sollte versuchen, beim Anfahren an die Kurve etwas nach außen zu gehen, dann den Scheitelpunkt (Innenseite der Kurve) zu treffen und beim Herausbeschleunigen aus der Kurve wieder nach außen zu gehen. Das ist die so genannte Ideallinie, die als die schnellste, sicherste und effektivste Art gilt, durch eine Kurve zu kommen.
Blicke über den Scheitelpunkt der Kurve hinaus
Wenn es darum geht, eine Kurve schneller und harmonischer zu durchfahren, gibt es neben der Ideallinie noch zwei „Tricks“. „Heutzutage können GPS-Geräte ein großartiges Hilfsmittel sein, um zu wissen, was auf einen zukommt“, so Steven weiter. „Achte einfach darauf, dein Gerät auf den richtigen Ausschnitt und die richtige Größe einzustellen, sodass du die Karte nutzen kannst, um Spitzkehren rechtzeitig zu erkennen. Normalerweise zoome ich auf 50 bis 100 Meter heraus, damit ich während der Abfahrt genau hinsehen und planen kann.
„Bevor es GPS-Geräte mit Karten gab, habe ich mich an der Verkehrslage orientiert, um Kurven abzuschätzen, aber das GPS ist viel genauer. Ein anderer Trick beim Motorradfahren ist, so weit wie möglich durch die Kurve durch zu schauen. Das bedeutet, dass du schon bei der Annäherung an die Kurve auf den Ausgang der Kurve schaust und nicht nur auf den Anfang. Da man auf einem Zweirad fährt, neigt man dazu, in Richtung des Punktes zu lenken, auf den man schaut, also je weiter du vorausblickst, desto besser“.
Balance in jeder Kurve
Rob Busser ergänzt: „Bei den Laufradsätzen von SHIMANO mit Ausnahme des C60, der ein reinrassiger Sprinterlaufradsatz ist, achten wir bei jeder Komponente auf eine Balance aus Geschwindigkeit und Kontrolle. Die Felge sollte ausreichend aerodynamisch und nicht zu seitenwindanfällig, dabei aber nicht übermäßig steif sein. Die Einspeichung folgt dem Verhältnis 2:1 mit mehr Speichen auf der Antriebsseite wegen der dort stärkeren Beanspruchung. Außerdem sollte die Nabe so schnell wie möglich den Kraftschluss herstellen, daher setzen wir unser hauseigenes Zahnscheibensystem statt herkömmlicher Sperrklinken ein. All dies macht die C36 und C50 zu exzellenten Laufrädern fürs Klettern und Abfahren, wobei das C 36 etwas leichter ist.“
Felgen- und Reifenbreite
Sowohl Steven als auch Rob bestätigen, dass die Felgenbreite tatsächlich ziemlich wichtig für ein sicheres Fahrgefühl ist. Natürlich hat eine 28 mm breite Felge auch aerodynamische Vorteile, aber das Beste ist, dass ein 30 oder sogar 32 mm breiter Reifen problemlos passt. „Mehr Gummi ist beim Abfahren einfach besser“, bringt Steven es auf den Punkt. „Vielleicht ist das nur in meinem Kopf so, aber ich habe das Gefühl, dass das ganze Rad dadurch weniger nervös wird und mehr Grip hat.“
Schneller dank Teleskopstütze?
Auf die Frage nach unkonventionellen Ansätzen für mehr Spaß oder Sicherheit beim Abfahren kommen Steve und Rob noch auf einige interessante Ideen.
„In der Theorie könnte ein gemischter Laufradsatz aus C36 vorne und C50 hinten bei windigen Bedingungen noch schneller sein“, sagt Rob. „Ich weiß aber nicht, ob mir dieses Setup optisch gefallen würde.“
Steven bringt die atemberaubende Abfahrt von Matej Mohoriç bei Mailand – San Remo zur Sprache. „Seine Geheimwaffe, die Teleskopstütze, kann das Fahrgefühl bei der Abfahrt entscheidend verändern. Die Möglichkeit, auf dem Bike das Gewicht nach unten zu verlagern, hat enormen Einfluss auf das Handling des Bikes bei hoher Geschwindigkeit. Es dürfte nicht ganz einfach sein, eine Teleskopstütze in einen Aero-Rahmen einzubauen, aber ich würde es gerne einmal ausprobieren.“
Letzten Endes bleiben Abfahrten immer eine Herausforderung. Es ist immer wichtig, einen kühlen Kopf zu behalten und Gefahren zu vermeiden. Die große Belohnung beim Radsport liegt auch darin, dass wir mit der Zeit immer besser werden, wenn wir mehr Fahrtechnik lernen und die richtige Ausrüstung für unsere Lieblingsstrecken finden.