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Als ich die Möglichkeit bekommen habe bei den diesjährigen Cyclassics in Hamburg im Neutralen Servicewagen von SHIMANO mitzufahren, musste ich keine Sekunde überlegen und habe voller Vorfreude sofort zugesagt. Das Renngeschehen und die Radprofis so hautnah erleben zu dürfen ist etwas ganz besonderes.

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Schon am Sonntagmorgen während des Einschreibens der Teams und im Gewimmel der aufgereihten Teambusse sowie der drei neutralen Servicewagen und der beiden Motorräder von SHIMANO war die Aufregung groß.

Ich wurde direkt Philip und Geert vorgestellt. Die beiden sind zwei alte Hasen im Business des Neutralen Service von SHIMANO. Sie waren schon bei zahlreichen großen Rennen, während der Grand Tours, Eintagesklassiker oder den Weltmeisterschaften unterwegs. Was viele nicht wissen: sowohl Fahrer als auch Mechaniker machen diesen Job nebenher und aus purer Leidenschaft. Philip ist Polizist, Geert bringt sein technisches Verständnis und Geschick aus seinem Beruf als Ingenieur im Bereich für Turbinen mit. Seine Leidenschaft fürs Fahrrad ist so groß, dass sein ganzes Haus mit über 100 signierten Originaltrikots geschmückt ist. Vom Weltmeistertrikot von Julian Alaphilippe und Peter Sagan über das handsignierte Trikot der Tour of Denmark vom aktuellen Tour de France Gewinner Jonas Vingegaard.

Cyclassics aus dem Materialauto (neutraler Servicewagen) von SHIMANO gefilmt.

Der Start der Cyclassics war am 21. August um 11.20 Uhr angesetzt, so dass ich mich mit Philip und Geert einige Minuten zuvor ins Auto begeben habe. Neben neun Laufrädern, einigen Wasserflaschen und zwei Funkgeräten ist der Platz in einem solchen Kombi definitiv gut ausgenutzt.

Erste Amtshandlung: Einparkhilfe ausschalten. Wer die Bilder aus dem TV kennt, der weiß, wie nah sich die Autos, Motorradfahrer und Radfahrer im Rennen kommen und das Warnsignal der Einparkhilfe mehr als einmal anspringen würde. Der Startschuss fiel – aber zunächst wurden die 2,3 Kilometer der neutralen Phase abgefahren, bis der scharfe Start von der Rennleitung vollzogen wurde.

Ich befand mich im ersten der drei Neutralen Servicewagen. Das bedeutet, wir führten hinter dem offiziellen Auto das Rennen an. Sobald sich ein Ausreißer oder eine Ausreißergruppe mehr als 30 Sekunden vom Hauptfeld, dem sogenannten Peloton, absetzt, lässt der Neutrale Servicewagen den bzw. die Fahrer passieren und setzt sich direkt hinter sie, um ihnen im Notfall direkt helfen zu können. Das kann eine Panne sein, wie zum Beispiel ein Platten, eine heruntergesprungene Kette, ein Sturz oder aber auch das Reichen von Wasser oder Energriegeln, sollte das zugehörige Teamfahrzeug nicht in der Nähe sein.

Bei einem großen Rennen besteht das Peloton aus 150 bis 170 Fahrern. In Momenten, in denen das Team nicht da ist, hilft der Neutrale Service dem Fahrer. Je nach Rennverlauf ist das ein regelrechtes Puzzlespiel, um im Notfall immer mit einem Auto oder Motorrad an der richtigen Stelle zu sein. 100%ige Aufmerksamkeit und Konzentration werden hier abverlangt. Die Fahrer der Neutralen Servicefahrzeuge müssen denken wie ein Radsportler oder ein Teamchef, um zu wissen, wie jemand in bestimmten Situationen reagiert oder reagieren kann. Man könnte fast sagen, der Neutrale Service von SHIMANO ist ein Team ohne Fahrer.

Materiallager Auto

Das Auto ist ein großes Materiallager. Um jedem Fahrer helfen zu können, werden unterschiedliche Laufräder und Fahrräder mit unterschiedlichen ScReifen und Laufräder im SHIMANO Auto.haltgruppen und Bremssystemen benötigt. Der Mechaniker im Auto weiß von allen Teams, welche Komponentengruppen gefahren werden. 11-fach oder 12-fach, Scheiben- oder Felgenbremsen.

Wenn Scheibenbremsen gefahren werden, welche Größe. Jeder Mechaniker hat sein eigenes System im Auto, so dass er weiß, welches Laufrad mit welcher Kassette und entweder mit 160 mm Scheibe oder mit 140 mm Scheibe ausgestattet ist, um im Notfall das richtige Laufrad sofort griffbereit zu haben und schnellstmöglich Hilfe leisten zu können.

Auf die Frage, ob es jemals eine Situation gab, in der der Neutrale Service nicht helfen konnte, sagten mir Geert und Philip nach kurzem Überlegen: „Nein. Wir konnten bisher allen Fahrern helfen. Jedoch gab es Situationen, in denen es auch mal länger gedauert hat, bis der Fahrer wieder weiterfahren konnte.“

Kurz vor den Cylassics mit Blick auf die Alster.

Das Rennen - Cyclassics 2022

Auf dem Programm standen 204,7 Kilometer in und rund um Hamburg. Wie in den vergangenen Jahren rechneten die Experten wieder mit einem Tag, der den Sprintern gehören könnte. Insgesamt drei Mal ging es über den bekannten Waseberg, das erste Mal nach 137 Kilometern. Dabei mussten 700 Höhenmeter bei einer durchschnittlichen Steigung von 10 Prozent sowie einer maximalen Steigung von 15 Prozent überwunden werden. Das Ziel war wie immer die Mönkebergstraße.

Direkt zu Beginn des Rennens hatte sich eine dreiköpfige Ausreißergruppe, bestehend aus Anthony Jullien (Team AG2R CITROEN), Yevegeniy Gidich (Team ASTANA QAZAQSTAN) und Jacopo Mosca (Team TREK-SEGAFREDO), gebildet. Schnell hatten sie einen Vorsprung von mehreren Minuten, so dass sich das Neutrale Servicefahrzeug von SHIMANO hinter der Spitzengruppe einordnete.

Das Teamfahrzeug AG2R fuhr nach einer guten Stunde zur Spitzengruppe auf, um ihren Fahrer Anthony Jullien zu verpflegen. Wir fuhren schließlich an das Teamauto ran, um zu fragen, ob sie uns Trinkflaschen geben wollen, so dass wir wenn nötig direkt aushelfen können und bekamen zwei Flaschen gereicht. Im weiteren Rennverlauf erhielten wir auch noch Flaschen von den beiden anderen Teams für die beiden anderen Fahrer der Ausreißergruppe, um sie im Notfall versorgen zu können.

Das Teamfahrzeug von Astana.

Austreten

So ein Rennen von über 200 Kilometern geht über mehrere Stunden. Mein Kollege meinte vorab schon zu mir: „Besser du trinkst während des Rennens nicht ganz so viel.“ Warum? Das man nicht allzu oft auf die Toilette muss. Natürlich habe ich da bei Geert und Philip nachgefragt. Eigentlich ist es ähnlich wie im Fahrerfeld. Ist die Rennphase recht entspannt und in unserem Fall der Abstand zwischen Ausreißer- und Verfolgergruppe groß genug, kann man ohne Probleme rechts ranfahren und sich kurz entledigen. Gesagt, getan.

Mir war das Ganze allerdings zu heiß und ich blieb im Neutralen Servicewagen sitzen, was sich als sehr weise herausstellte. Die Rennsituation hatte sich geändert, der Abstand zwischen Spitzengruppe und Peloton war deutlich geringer, als noch kurz vorher durchgegeben. Ich blickte in den Rückspiegel und sah das Peloton von hinten anrauschen. Philip und Geert waren blitzschnell im Auto und die Fahrt ging weiter. Wir kamen gerade so vor dem Hauptfeld zurück auf die Strecke.

Nach Rennkilometer 137, im Anstieg des Wasebergs, konnte das Peloton bis auf wenige Sekunden wieder auf die Spitzengruppe aufschließen. Es ist unglaublich die Fahrer so nah zu erleben und zu sehen wie sie einfach alles geben. Von da an führten wir sozusagen das Feld wieder an. Kurze Zeit später, am nächsten Anstieg sowie in der Abfahrt, konnte eine neue Zusammensetzung der Spitzengruppe wieder ein Loch über 30 Sekunden reißen, so dass wir rechts ranfuhren und die Spitzengruppe passieren konnte. Das Tempo war hoch, wir beschleunigten und jagten hinterher. Ide Schelling vom Team BORA-hansgrohe konnte sich der dreiköpfigen Spitzengruppe anschließen. Das Rennen war nun richtig eröffnet.

 

Cyclassics Hamburg 2022 - aus dem Fahrzeug mit Ide Schelling.

Kohlenhydrate

Ide Schelling war voll am Anschlag und wir konnten glücklicherweise aushelfen und ihn mit einem Isogetränk sowie einem Gel versorgen. Vollgas voraus ging es die Reeperbahn entlang. Der Abstand verringerte sich wieder. Positionswechsel, die Ausreißer hatten nun wieder nur wenige Sekunden Vorsprung. Die Mönkebergstraße sowie das Ziel durchfuhren wir somit wieder vor dem Fahrerfeld. Ein Wahnsinnsgefühl die jubelnden Zuschauer an den Banden zu sehen.

Auf zu den letzten Kilometern. 55 an der Zahl. Ein Sturz im Peloton, 28 Kilometer vor dem Ziel, riss über 20 Fahrer zu Boden. Das Hauptfeld war nun deutlich reduziert und auseinandergezogen. Die heiße Phase des Rennens begann. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann die beiden Ausreißer von den Verfolgern eingeholt würden. Nils Politt gab alles und fuhr „all out“, da BORA-hansgrohe mit Marko Haller einen schnellen Mann mit dabei hatte.

Cyclassics Hamburg 2022 Race

Den Rest des Rennens verbrachten wir vor dem Feld. Wenige Meter vor dem Ziel bogen wir links ab. Die Ausfahrt, in die alle Neutralen Service Fahrzeuge sowie Teamfahrzeuge geleitet werden, so dass die Fahrer freie Bahn für den Zielsprint haben.

Kurz nachdem wir abgebogen waren, ließ Philip Geert und mich aus dem Auto springen und wir liefen nach oben, um den Zieleinlauf noch sehen zu können. Die Fahrer rauschten vorbei. Ich hörte den Moderator an der Strecke rufen, „Sieg für einen Österreicher“.

Der Plan für das Team BORA-hansgrohe ging tatsächlich auf. Das Rennen so hart wie möglich zu machen und am Ende konnte sich Marco Haller den Sieg vor Wout van Aert und Quinten Hermans sichern. Überglücklich fiel sich das ganze Team in die Arme. Die harte Arbeit hatte sich ausgezahlt und Marco Haller konnte seinen größten Triumph feiern.

Cyclassics Gewinner: Marco Haller, Wout van Aert und Quinten Hermans.

Zahlen, Daten, Fakten:

SHIMANO hat den Neutralen Service seit 2001 übernommen

  • 33 Autos
  • 8 Motorräder
  • 6 Transporter
  • 560 Renntage pro Jahr
  • 50 Fahrer
  • 51 Mechaniker
  • 165 Fahrräder in allen Rahmengrößen, ausgestattet mit allen Pedalsystemen, die im Peloton genutzt werden
  • 10.000 Trinkflaschen
  • 2.000 Energieriegel und -gels
  • 600 Laufräder mit unterschiedlichen Bremssystemen und Bremsscheibengrößen sowie Kassetten

Bei den Cyclassics in Hamburg waren 3 Autos, 2 Motorräder (Equipment ca. 12 Fahrräder und 50 Laufräder) im Einsatz.

Cylassics Zielsprint 2022 mit Marco Haller von BORA hansgrohe als Sieger.

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